“Wir tun die Dinge, die wir lieben“
INTERVIEW Die Hammer Aussteiger Vivi und Sascha Klesse leben ihrem Traum
VON PETRA VON DER LINDE / 07.05.2024
Hamm/Peloponnes – Im Sommer 2021 krempelten Vivi und Sascha Klesse ihr Leben komplett auf links. Sie kündigten ihre Jobs, lösten ihre Altbauwohnung auf und trennten sich von den meis- ten ihrer Besitztümer. Seit- dem tourt das Paar in einem 12-Quadratmeter-Hymermobil namens „Walter“ durch Europa.
Ihr Motto: „Lebe dein Leben und sei frei“ teilen die beiden mit einer stetig wach- senden Community. Für den WA hat Petra von der Linde mit Vivi Klesse telefoniert und sich nach Neuigkeiten aus dem Leben der Vanlifer erkundigt.
Sie sind auf Instagram und Youtube aktiv, haben einen eigenen Podcast und bloggen auf Ihrer Webseite. Offenbar übt Ihr minimalistischer Lebensstil eine enorme Anziehungs- kraft aus …
Ja, das ist tatsächlich so. Wir haben allein auf Instagram mittlerweile über 260 000 Follower. Wir ziehen scheinbar viele Leute an, die sich ein ähnliches Leben wünschen wie wir es haben. Häufig be- kommen wir das Feedback: „Wenn ich bei euch im Account vorbeischaue, ist das meine tägliche Portion Ruhe und Frieden.“
Von Followern werden wir oft gefragt, wie wir das hinkriegen, so ausgelassen und in Balance zu sein. Die Antwort ist ganz simpel: Wir haben eine klare Entscheidung getroffen, und zwar nur noch die zu Dinge tun, die wir lieben. Wir haben feste Rituale und lassen uns Zeit. Wir können uns je- den Tag entscheiden, was wir machen wollen. Ich beschäftige mich viel mit ätherischen Ölen. Die Arbeit mit ätherischen Ölen im Empfehlungsmarketing ist nicht nur das, womit wir unser Geld verdienen, sondern es hat uns auch in unserer persönlichen Entwicklung auf dem Weg zur Selbstliebe be- schenkt.
Selbstliebe ist ein wirklich wichtiges Thema. Mit sich selbst muss man täglich ganz besonders lieb sein, schließlich teilt man ja sein ganzes Leben mit sich. Es ist grandios mitzubekommen, was dann bei Menschen passiert, die zu uns in die „Ölefamilie“ finden.
Wie ist das, wenn fremde Leute Ihren Alltag so hautnah mitverfolgen?
Auf Social Media zeigen wir Momente aus unserem Leben. Damit sind wir ein Spie- gel für andere, inspirieren Menschen und haben oft das Gefühl so was wie Lebensberater für andere zu sein. Doch was die Leute aus dem ma- chen, was sie von uns sehen und hören, das entscheiden sie selbst. Auch unterwegs sprechen uns immer wieder Reisende oder Einheimische an. Ein kurioses Erlebnis hatten wir Ende letzten Jahres in Hampi in Südindien.
Dort gibt es einen kleinen Steine- laden. Im Vorübergehen sprach der Besitzer mich an und sagte total ernst: „Ich kenne dich aus einem frühe- ren Leben!“ Ich hab’ das für eine Masche gehalten. Vor al- lem, weil ich als Europäerin ständig angesprochen wurde. Einige Zeit später, als Sascha noch mal in dem Laden war, stellte sich heraus, dass der Inhaber uns schon lange von Instagram „kennt“. Das ist umso krasser, weil er insgesamt nur 30 Leuten folgt. Übrigens haben wir eine ganze Menge indische Follower.
Wahrscheinlich spricht unsere Art sie besonders an: Wie wir unsere Liebe nach außen tragen, das ist ja tatsächlich so ein bisschen Bollywood- Style. Auch vor dem Abflug nach Indien hat uns beim Check-in in Athen am Coun- ter einer der Mitarbeiter er- kannt. In solchen Momenten kommen wir uns fast vor wie Filmstars (lacht).
Eigentlich sind Sie doch überwiegend in Europa mit Ihrem Hymermobil „Walter“ unterwegs. Was hat Sie denn im letzten Winter nach Indien verschlagen?
Indien war schon immer ein großer Traum von Sascha und mir. Als Freunde von uns planten, dorthin zu reisen, haben wir uns entschlossen mitzufahren. Anfangs war es super schön. Wir waren zu- erst in Goa und sind dann nach Hampi gereist. Da fand gerade ein Mega-Lichter-Festival zu Ehren Shivas und Parvati statt. Wir wussten das vorher nicht.
Was wir wirklich verstanden haben ist:
Wir können tun und lassen, was wir wollen – aber wir müssen das alles nicht machen.
Vivi
Das war ein hartes Erwachen aus Ihren Träumen. Wie sind Sie damit umgegangen? Und was sind Ihre Pläne für die nächsten Monate?
Es war eine wichtige Erfahrung. Denn dadurch ist uns klar geworden: Von etwas zu träumen, darüber zu lesen und sich darauf vorzubereiten ist etwas ganz anderes, als es zu erleben und im Herzen zu fühlen. Wir wussten, worauf wir uns einlassen. Aber wir wussten nicht, was es mit uns macht. Was wir wirklich verstanden haben, ist:
Wir können tun und las- sen, was wir wollen – aber wir müssen das alles nicht machen. Wir sind nicht die typischen Vanlifer, die Abenteuern hinterherjagen. Wir brauchen viel Ruhe; wir sind totale Alleingänger. Das war einer der Gründe, weswegen wir uns für unsere Art zu le- ben fern ab von vielen Menschen in der Natur entschieden haben. Als wir im Januar zurück nach Griechenland kamen, waren wir an den hei- ßen Quellen, den Thermopylen. Außer der Natur hat man nichts gehört und gesehen. Inzwischen sind wir wieder auf der Peloponnes. Es zieht uns immer hierher zurück.
Für uns ist es das Paradies. Hier haben wir unsere äußere und innere Ruhe zurückgewonnen. Mitte Mai kommen wir zu Besuch nach Deutsch- land und fahren danach weiter nach Schweden, um mit Freunden den Mittsommer zu feiern.
Quelle:
Tageszeitung WA Hamm, vom 07.05.2024,
geschrieben von Petra von der Linde
